Fall 1
 
 

Turnier : 1. Bundesliga 1999/2000, 26.02.2000
Turnierleiter :  
Der Fall : (eingereicht von mir selbst, ich hatte den Vorsitz im Schiedsgericht)

Nach einem verzögerten Kontra seines Partners auf 4 Coeur "läuft" der Süd-Spieler. Der Kontrakt wäre erfüllt worden, die Verteidigung war billig (bzw. wäre billig gewesen, da aktuell ein Gegner noch auf die 5er-Stufe weiterreizte und dort dann einmal fiel). Zu dem Zeitpunkt, als der Schlitten mit dem kontra herübergeschoben wurde, wahrt West seine Rechte, das Zögern ist nicht bestritten. Nach dem Spiel wird der Turnierleiter gerufen. Er korrigiert den Score auf 4 Coeur x =.

Der Süd-Spieler hat kein Verständnis für diese Entscheidung (weshalb er ja auch später beim Schiedsgericht Protest einlegte). Zusätzlich attackierte er die Gegner dafür, dass sie überhaupt den Turnierleiter geholt hatten. Er sagte zu dem Gegner "das was ihr macht, sind ja xyz-Methoden (wobei xyz für den Namen eines deutschen Bridgespielers steht, der nicht an diesem Match beteiligt war)".

Turnierleiter: Der Turnierleiter fordert die Spieler auf, nett zueinander zu sein und verlässt den Tisch.
Spieler:  
Schiedsgericht: Die Bridgeentscheidung soll hier nicht erörtert werden, da es um die disziplinarischen Aspekte des Falles geht.

Das Feststellen der Fakten mit TL und beteiligten Spielern dauerte etwa 1/2 Stunde, die anschließende Verhandlung etwa 1 Stunde (das ist vielleicht nicht inhaltlich relevant, ich möchte aber zum Ausdruck bringen, dass das Schiedsgericht sich ernsthaft bemüht hat, den Fall von allen Seiten zu beleuchten. Dies soll jetzt keine Rechtfertigung sein falls jemand mit der Entscheidung vielleicht nicht einverstanden ist, sondern nur den Aufwand verdeutlichen. Ich komme auf den Punkt im Kommentar nochmal zurück).

Das Schiedsgericht spricht eine Ermahnung gegen den Südspieler aus, in Zukunft auf Entscheidungen des Turnierleiters in angemessener Art und Weise zu reagieren. Die Ermahnung ist die kleinste mögliche Disziplinarstrafe. Außerdem ermahnt es den Turnierleiter, in solchen Fällen zukünftig selber schon disziplinarisch vorzugehen.

Kommentare: Mein Kommentar:

Ich hatte den Vorsitz im Schiedsgericht, meine Ausführungen hier wurden also schon während der Verhandlung diskutiert.

1) Wir haben uns die Beispiele des "Zero-Tolerance"-Papieres durchgelesen, um zu entscheiden, in welche Kategorie das Verhalten des Südspielers fällt. Wir haben uns für "leichte Verstöße" entschieden (ein Beispiel, das wir dort gefunden haben: "Spieler zum TL: Diese Entscheidung hat mit Bridge nicht das geringste zu tun").

2) Keinem Mitglied des Schiedsgerichtes war bekannt, dass sich Süd jemals vorher so verhalten hatte (wobei das Schiedsgericht keine Kenntnis davon hätte, wenn Süd bereits einmal "aktenkundig" geworden sein sollte, Unterlagen hierüber stehen weder TL noch Schiedsgericht zur Verfügung)

3) Wir haben uns für die kleinste Disziplinarstrafe entschieden, weil wir keine klaren Maßgaben finden konnten, wodurch die Höhe einer ausgesprochenen Strafe bestimmt wird. Vor einer härtere Strafe (Verwarnung, Abzug von Siegpunkten) hatten wir Skrupel, weil uns keine vergleichbaren Entscheidungen bekannt waren und es unserer Meinung nach nicht Aufgabe eines einzelnen Schiedsgerichtes sein kann, ein Exempel zu statuieren, wenn es für dieses Vorgehen keine klar erkennbare Linie im Verband gibt (zumindest nach Ansicht aller beteiligten Schiedsgerichtsmitglieder).

4) Zu der Äußerung "xyz-Methoden": Wir waren hier unserer Meinung nach etwas in der Zwickmühle. Zum einen hat der Südspieler evtl. gemeint, dass xyz den Turnierleiter auch schon mal zu Unrecht holt. Zum anderen hat die OW-Partei den Turnierleiter natürlich völlig zu Recht geholt, da ein Regelverstoß der Gegenpartei vorlag. Wenn also xyz dafür bekannt ist, immer den Turnierleiter zu holen, wenn de Gegner eine Regelwidrigkeit begeht, konnten wir nicht so recht erkennen, ob man dies wirklich als beleidigende Bemerkung über xyz behandeln darf (wir waren halt alle keine Juristen).

4) Im Nachgang zu der Verhandlung fanden längere Diskussionen mit anderen Spielern statt, dass die Strafe zu niedrig sei. Teilweise wurden die Schiedsgerichtsmitglieder dafür persönlich angegriffen. Ich bin mir übrigens sicher, dass es bei einer höheren Strafe ähnliche Diskussionen gegeben hätte, dann halt mit anderen Spielern. Mein Eindruck ist, dass gerade solche Entscheidungen von Betroffenen häufig persönlich genommen werden. Kein Mensch ist wirklich objektiv, aber ich sorge in Schiedsgerichtsverhandlungen immer dafür, dass ausreichend Zeit für die Erörterung aller Facetten eines Falles genommen wird. Ich habe nicht besonders viel Verständnis dafür, dass die Leute, die viel Zeit und Nerven opfern, um eine bestmögliche Entscheidung zu treffen, sich permanent für diese Entscheidung rechtfertigen müssen. Ich würde mir wünschen, dass es klare schriftliche Anweisungen im Verband gibt, auf die das Schiedsgericht verweisen kann. Insbesondere ist für mich nicht einzusehen, dass die Höhe einer Strafe nur von der Zusammensetzung des Schiedsgerichtes abhängt. Solange ein unklarer Ermessensspielraum mit dieser Bandbreite besteht, kann ich Spieler sogar verstehen, die mit der Entscheidung nicht einverstanden sind. Da sich ein anderes Schiedsgericht im gleichen "luftleeren Raum" bewegt hätte, hätten diese vermutlich eine andere Entscheidung getroffen, damit ist aber der Vorwurf der Willkür nicht ganz von der Hand zu weisen. Ich sehe sicherlich nicht ein, dass ich derjenige sein soll, der anfängt im Verband hart durchzugreifen, solange dies nicht zur gängigen Praxis gehört.

5) Nachdem das ganze jetzt eh schon sehr stark persönlich von mir geprägt ist (man möge mir dies nachsehen, aber zum einen ist der Fall ganz frisch, zum anderen haben die Diskussionen darüber wirklich die halbe Nacht gedauert), auch noch meine persönliche Meinung zu disziplinarischen Themen: Ich spiele sicherlich Bridge um zu gewinnen, aber in erster Linie um Spass dabei zu haben. Ich versuche daher, mit allen meinen Gegnern so gut wie möglich auszukommen und so freundlich wie möglich zu sein (natürlich gibt es auch Menschen, die ich nicht besonders mag, aber auch da versuche ich zumindest die Regeln der Höflichkeit zu wahren). Schön wäre es, wenn sich jeder so verhält, leider gibt es aber Ausnahmen davon. Ich bin der Meinung, man sollte in solchen Fällen sehr konsequent mit einer angemessenen Härte durchgreifen. Bei manchen Menschen können diese Bestrafungen vielleicht eine Verhaltensänderung auslösen. Bei den "hoffnungslosen" Fällen gibt es dann halt wiederholt disziplinarische Vergehen, diese werden festgehalten, stehen Turnierleitern und Schiedsgerichten zur Verfügung (vielleicht denkt der Verband mal über eine Lösung für das logistische Problem nach, ich stehe mit Anregungen gerne zur Verfügung) und werden dann halt von Mal zu Mal härter bestraft. Entweder führt dies irgendwann doch zu einer Besserung oder in letzter Konsequenz dann halt zu einem Ausschluss aus dem Verband. Da dies dann aber im Sinne aller (bis auf den einen Betroffenen) ist, kann ich solch konsequentes Vorgehen nur begrüssen (aber wie bereits oben aufgeführt, ich werde nicht derjenige sein, der als Einzelperson solch ein Vorgehen zu praktizieren beginnt).

Eure Kommentare:

Hier einige Zitate aus Kommentaren, die ich per E-Mail zu dem Fall erhalten habe:

"Allerdings Punkt 4 (der für mich entscheidende) sehe ich anders: Dass der Spieler mit xyz-Methoden keine Beleidigung gemeint haben könnte, ist mit Verlaub ein Scherz. JEDER, aber auch wirklich jeder (außer dem TL) wußte, wie er es gemeint hat..nämlich abfällig und negativ ! Wenn das Ganze jetzt tatsächlich daran gescheitert ist, dass "xyz-Methoden" nicht im Katalog stand, dann kann irgendwas nicht stimmen. Und wenn man sich rechtlich nicht sicher ist ("wir sind ja keine Juristen"), dann muß demnächst dafür gesorgt werden, daß bei jedem SG auch ein Jurist dabei ist. Dass bei dem Protestschreiben das Fragezeichen als mildernd gewertet wurde, finde ich auch nicht gut. Sozusagen hat man ein "vielleicht" eingebaut, um sich ab zu sichern, was ja auch gelungen ist."

"Was der DBV versucht hat, ist Zero-Tolerance durchzudrücken. Seit es diese Regel gibt, wurde IMHO äußerst selten danach entschieden. Also können wir das auch wieder abschaffen."

"Strafe muss sein, wenn man die Zero-Tolerance irgendwann mal mit Leben erfüllen will und nicht weiterhin als Lachnummer ansehen soll, deshalb scheint mir die Ermahnung angebracht; weder will man jemandem (unbescholtenes?) gleich die Hände abhacken, noch sollte derjenige ungeschoren davonkommen. Der Verstoß ist m.E. jedenfalls allerdings eher von der wenig schwerwiegenden Art."

"1. Die Begründung ist meines Erachtens falsch. Der Spieler hat ja dem Gegner besagten Satz an den Kopf geworfen, und nicht dem TL.

2. Hängt eine Bestrafung m.E. davon ab, ob der Gegner den Spruch als Beleidigung    empfunden hat, oder nicht. Wenn der Gegner sich durch den Vergleich mit Spieler xyz geehrt fühlt kann man doch nicht gegen Komplimente vorgehen.Da der Sachverhalt aber vorm Schiedsgericht gelandet ist, lag sicher etwas beleidigendes vor.

3. Ich kann das Urteil akzeptieren, hätte mir aber auch eine härtere Strafe gewünscht.

4. Da es sich um ein (Schieds)GERICHT handelt, sehe ich kein Problem darin,    Präzedenzfälle zu schaffen. Des Gericht hat nunmal einen gewissen Handlungsspielraum, was nötig ist, um von Fall zu Fall zu entscheiden. Pauschale Strafen würden das Leben des Schiedgerichts zwar vereinfachen, aber das Ziel dieser Institution verfehlen (Gerechtigkeit ..)  In diesem Zusammenhang finde ich den Satz "ich werde nicht derjenige sein, der als Einzelperson solch ein Vorgehen zu praktizieren beginnt" völlig unpassend. Wenn jeder so denkt und vor allem handelt!! Als Vorsitzender ist man ja nicht allein. Es muss nicht die Meinung des Vorsitzenden sein, die Schlussentscheidung wird. Der Vorsitzende soll doch die
Diskussion in geordnete Bahnen lenken."

"Das Problem bei den zu laschen Strafen ist nicht nur, dass damit keine Abschreckung stattfindet. Viel schlimmer ist an diesen Entscheidungen, dass dem Opfer damit ein zweites Mal Unrecht zugefügt wird. Ein jeder kennt doch die Bilder aus den Gerichtssälen, wo die Angehörigen irgendwelcher Opfer als Nebenkläger auftreten und dann total entrüstet sind, wenn das Urteil zu lasch ist. Das hat nur sehr wenig mit Rachegedanken zu tun, sondern viel eher mit dem Gedanken an Sühne oder Ausgleich für die Tat oder sowas. ... Jedenfalls fühlt sich ein Opfer in diesen minder schwer bestraften Fällen immer noch ein zweites Mal entwürdigt. Das ist das Hauptproblem! Und genauso ist es für das Opfer eine Wiederherstellung der Würde, wenn der Übeltäter angemessen bestraft wird. Hier klingt das fast ein wenig danach, als wenn er in Sache zwar Recht hätte, aber sowas sagt man eben nicht. Und das fände ich wirklich richtig schlimm!"

Liste aller Fälle

 
 
Letzte Änderung: 05.01.2002 Home © by joefri