Langsamer Start und rasantes Finish
von Jörg
Fritsche
Die Vorbereitung
Unsere Vorbereitungen für die Weltmeisterschaften begannen im Juli 2001. Der Verband hatte mich gefragt, ob ich die Damen als Coach begleiten möchte. Da ich schon früher versucht hatte, dem Verband klar zu machen, dass der Kapitän alleine zuwenig ist, und nur Professionalität dauerhaft zum Erfolg führen kann, nahm ich diese für mich und für das deutsche Damenteam neue Aufgabe gerne an. Da die Teammitglieder mit Ihren Wohnorten in Deutschland, Dänemark und England doch etwas verstreut sind, beschlossen wir frühzeitig Internet und Email zur Kommunikation zu nutzen. Am 5. August ging unsere Internetseite online, die auch heute unter http://home.t-online.de/home/joerg-fritsche/bali/ noch zu finden ist. Fotos der Teammitglieder, ein Tagebuch von der Vorbereitung, Live-Berichte aus Paris und Links zu anderen Bridge-Seiten. Und einen geschützten Bereich, in dem wir Dateien mit Vorbereitungsmaterial austauschen konnten. Eine kleine Anekdote hierzu: ein Teil dieser Unterlagen stammt aus der Feder der amerikanischen Spielerin Karen McCallum, die mir freundlicherweise Übersetzung und Verwendung gestattete mit den Worten „Wenn wir gegen Deutschland verlieren sollten, kann ich wenigstens sagen, dass es mein eigener Fehler war“. Nach unserem grandiosen Viertelfinalerfolg gegen ihr Team USA I bat sie mich, ihren Teamkameradinnen nichts hiervon zu verraten.
Ende September gab es den großen Schock, als wegen der politischen Lage die Weltmeisterschaft auf Bali abgesagt wurde. Im Nachhinein denke ich zwar, dass auf Bali nichts passiert wäre, aber zum damaligen Zeitpunkt hielten nicht nur wir, sondern auch viele andere Teams aus den unterschiedlichsten Kulturen diese Entscheidung für sehr vernünftig.
Es war eine grandiose Leistung des Präsidenten des Weltbridgeverbandes, Jose Damiani, und des französischen Bridgeverbandes in nur 4 Wochen diese Weltmeisterschaft in Paris auf die Beine zu stellen.
Am 20. und 21. Oktober trafen wir alle aus den unterschiedlichsten Himmelsrichtungen in Paris ein und am 21. abends präsentierten wir uns auf der Eröffnungsfeier erstmalig mir unserer neuen Mannschaftskleidung. Nun, genaugenommen hatte es vorher eine ausführliche Mannschaftssitzung auf einem der Zimmer gegeben, denn unsere Marine-/Stewardessen-Uniformen sahen zwar edel aus, bei näherem Hinsehen (und natürlich auch beim Tragen) bemerkte man deutliche Mängel und Unterschiede in der Ausführung.
von links: Pony Nehmert, Barbara Hackett, Daniela von Arnim, Katrin Farwig, Sabine Auken, Andrea Rauscheid, Jörg Fritsche.
Am nächsten Tag begann auch endlich das Bridge. Und zur Betonung, dass Bridge auf dem Wege zum Sport ist, wurde nicht wie sonst in einem Hotel gespielt, sondern in einem Fußball-Stadion. Das „Stade de France“ fasst 80.000 Zuschauer und war 1998 Austragungsort des Fussball-Weltmeisterschafts-Finales. Heute wird dort meistens Rugby gespielt. Aber keine Sorge, wir mussten uns nicht auf dem Rasen tummeln, sondern in sehr schönen Spielsäälen unterhalb der Tribünen. Da der Weg vom Hotel zum Stadion mit Pendelbussen bewältigt wurde und Paris nicht gerade für seine Verkehrsarmut bekannt ist, begannen unsere Tage wesentlich früher als sonst und dauerten dafür etwas länger. In der ersten Woche hatte ich als Coach jeden Tag einen 18-Stunden-Arbeitstag (aufstehen, Damen wecken, Bulletins für alle besorgen, beim Frühstück Damen bei Laune halten, alle pünktlich zum Bus scheuchen, die spielenden Damen auf die Gegnerinnen vorbereiten, die nichtspielenden bei Laune halten, Wasser holen, Kinderschokolade verteilen, Ergebnisse abgleichen und abgeben, Tisch zum Abendessen besorgen, Damen bei Laune halten, Damen ins Bett schicken, Bericht ins Internet stellen, Systeme der nächsten Gegnerinnen vorbereiten). Ein Teil dieser Aufgaben ist natürlich Sache des Kapitäns, aber dieser konnte ja, wie bereits berichtet, erst nach zähen Verhandlungen in der zweiten Woche zu uns stoßen.
Vor dem Betreten des Stadions mussten wir uns alle einer Leibesvisitation unterziehen und aus den Taschen alle spitzen Gegenstände wie Büroklammern, Nagelfeilen usw. abgeben. Dies natürlich an jedem Tag und auch jedes Mal, wenn man zwischendurch das Stadion für ein paar Minuten verließ.
Ich gab noch die Maxime aus, dass wir nicht unbedingt die Vorrunde gewinnen müssen sondern irgendwo auf den ersten 8 Plätzen landen und dann konnte es endlich losgehen.
In der 1. Runde starteten wir mit Farwig-Hackett und Auken-von Arnim gegen Indien. Wir gewannen mit 101:20, was ein 25:0 und zunächst (erst- und letztmalig) die Tabellenführung bedeutete. Über die Hände hülle ich den Matel des Schweigens, unsere Paare mussten nicht besonders glänzen, sondern nur die IMPs dankend annehmen, die die indischen Ladies auf dem Silbertablett anboten. Aber ein Start nach Maß, und ich hoffte, dass er uns die nötige Lockerheit für die Vorrunde geben würde.
In der 2. Runde verloren wir mit 13:17 gegen Frankreich. Nur 3 Swings, aber leider 2 für Frankreich und nur einer für uns. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir natürlich noch keine Ahnung was für dramatische Kämpfe gegen Frankreich noch folgen werden.
In der 3. Runde gab es den 1. Dämpfer, als wir gegen Südafrika mit 9:21 (8:38) verloren. 4 reizende alte Damen, die nichts besonderes taten, aber auch keine Fehler machten. Wir leider schon !
In der 4. Runde kam mit USA II der dritte schwere Gegner in Folge und wir mussten auch noch in den Viewgraph. Bei Halbzeit führten die Amerikanerinnen bereits mit 65:13 und ein Debakel deutete sich an. Dann beschlossen Auken – von Arnim aber sich zu wehren und legten mit folgender Hand los:
Board 4/12 NS in Gefahr |
NORD |
|
3 |
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AB987 |
|
D64 |
|
Die Amerikanerinnen passten die West-Hand und erreichten nach 1 Pik – 1 SA – 2 Treff – 2 Coeur – 4 Coeur das normale Vollspiel. Barbara Hackett auf Nord spielte sehr schön Trumpf von der vierten Dame aus und hielt die Alleinspielerin damit auf 11 Stiche, -450.
Im agressiven System von Auken-von Arnim ist die West-Hand eine klare Eröffnung, und die Reizung entwickelte sich wie folgt:
West (von Arnim) Ost (Auken)
1 Coeur –
1 Pik
2 Karo – 2 SA (gameforcing)
3 Treff (1543) – 3 Coeur (schlemminteresse)
4 Coeur (nein danke) – 4 Pik (wirklich so schlecht ? Ich hab was in Pik)
5 Karo (na ja, ich hab was in Karo) – 6 Cœur
Reizen ist das eine, gewinnen muss man es natürlich dann auch noch. Mildred Breed spielte subtil die Treff-6 aus, und man darf vom timing her keinen Fehler machen: Treff-As, Pik-As, Pik-Schnapper. Karo-As, Karo-Schnapper, Pik-Schnapper, Karo-Schnapper. Jetzt den Treff-König abgezogen, noch ein Pik-Schnapper und noch ein Karo-Schnapper mit dem König (den Nord schon vorschnappen musste). Klein-Treff vom Tisch, und Nord, der nur noch Trümpfe hat, muss stechen und von seiner Coeur-Dame in die As-Bube-Gabel spielen. –980, 11 IMPs für Deutschland und ein gewaltiger Applaus im Viewgraph für das gelungene Abspiel.
Am Ende hatten wir doch noch aufgeholt und mussten uns nur mit 80:87 geschlagen geben.
In Runde 5 gab es ein 14:16 gegen Israel. Natürlich auch ein ernstzunehmender Gegner, gegen den man nicht zwingend gewinnt, aber langsam brauchten wir mal wieder einen Sieg, nicht nur für die Tabelle, sondern auch für die Moral. Diesen hatte ich eigentlich in der abschließenden Runde dieses Tages gegen Indonesien fest eingeplant. 4 nette Mädchen mit sehr wenig Erfahrung, die uns durchaus einige IMPs anboten. Da ja aber Indonesien ursprünglich Gastgeber gewesen wäre und jetzt so weit nach Frankreich reisen musste, wollten wir diese nicht so schädigen und trennten uns 15:15.
Am nächsten Tag folgte noch ein 13:17 gegen China und wir waren zum ersten Mal nicht mehr auf einem der 8 Qualifikationsplätze, sondern auf 9 zurückgefallen.
Mit Venezuela gab es jetzt einen Aufbaugegner, und wir konnten die Chance auch nutzen. Gleich 17 IMPs scorten wir in
Board 8/18 NS in Gefahr |
NORD |
|
DB98 |
|
10742
D432 |
|
K53 |
|
Gegen Auken-von Arnim reizten die Gegnerinnen kurz und erfolglos 1 Karo – 1 Coeur - 1 SA - 6 SA. Nach Pik-Dame-Ausspiel musste irgendwann der Coeur-Schnitt gemacht werden, und als der nicht sass, war man kurze Zeit später zwei down für –200.
Farwig-Hackett hatten das richtige System, um trotz des schwachen SA, den die beiden spielen, ohne Probleme den Karo-Fit noch zu finden und den richtigen Schlemm zu reizen:
Süd (Farwig) Nord (Hackett)
1 SA (12-14) - 2 Treff
2 Karo - 2 Pik (Frage nach weiterer Verteilung)
3 Coeur (3253) - 4 Treff (cue-bid für Karo), kontra von Ost
pass (kein Treff-As) - 4 SA
5 Karo - 6 Karo
Nach Treff-Ausspiel wurden zügig 12 Stiche für +1370 geclaimt.
In der nächsten Runde gab es in einem der umsatzärmsten Matche des Turniers ein 15:15 (18:20) gegen USA I und wir beendeten den 3. Tag auf einem komfortablen 7. Platz.
Der nächste Morgen begann mit einer 7:23-Niederlage gegen die Niederlande. Die Stimmung war auf dem Nullpunkt, und ich nahm von meiner bisherigen Strategie (jeder spielt gleich viel) Abstand und beschloss, die nächsten Runden mit den erfahrensten Paaren zu spielen und Farwig-Hackett, die doch einige Unsicherheiten gezeigt hatten, pausieren zu lassen. Die nächsten beiden Matches gewannen wir 23:7 gegen Brasilien und 18:12 gegen Italien und hatten uns damit sogar wieder auf den 6. Platz vorgeschoben.
Der nächste Tag begann mit einem 21:9 gegen Australien, zu dem folgende Hand nicht unerheblich beitrug:
Die doppelte 13
Board 13/13 Alle in Gefahr |
NORD |
|
AK83 |
|
D107
4 |
|
B964 |
|
Auken-von Arnim reizten 1 Coeur – 1 Pik – 3 Coeur. In ihrem Precision-System ist die Nord-Hand auf alle Fälle ein schönes Maximum, aber Daniela auf Süd hatte keine Probleme zu passen. Dreimal nicht und –300, ein Score den man nicht gerne sieht.
Die Reizung begann am anderen Tisch identisch, nur dass hier die Nordspielerin im unlimitierten System Subminimum für ihr Gebot war (oder anders ausgedrückt: die meisten Bridgespieler, die ich kenne, würden nur 2 Coeur reizen). Süd hatte auch Löwenfleisch gefressen und hob noch auf 4, worauf Andrea Rauscheid mit ihrem kontra endlich auch etwas zur Reizung beitragen konnte. Als der Rauch sich verzogen hatte, hatten wir 1400 eingesammelt, bzw. 15 IMPs.
In Runde 14 schlugen wir Kanada mit 20:10 und in Runde 15 Japan mit 18:12.
Am letzten Tag der Vorrunde warteten mit England und Österreich noch zwei schwere Gegner auf uns. Gegen England verloren wir zwar mit 13:17, hatten aber trotzdem noch 19 Punkte Vorsprung auf den undankbaren 9. Platz, der die Heimreise bedeutet hätte. Somit hätte gegen Österreich auch eine 7:23 Niederlage noch gereicht. Meine Damen müssen mich falsch verstanden haben und schlugen Österreich gleich mit 23:7, so dass wir die Vorrunde doch noch komfortabel auf dem 5. Platz beendeten und in die KO-Kämpfe einzogen, über die Herr Kemmer ja bereits ausführlich berichtet hat.
Die Butlerwertung nach dem Round Robin sah wie folgt aus:
1. Bessis –
d’Ovidio (F) 200 Boards +0.966 (IMPs pro Board)
2. Auken –
von Arnim 300 Boards +0,777
.
.
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34. Farwig
– Hackett 160 Boards -0,065
35. Nehmert – Rauscheid 220 Boards -0,110
Die Vorrunde war zäh, die KO-Kämpfe dramatisch und auf höchstem Niveau und wir sind Weltmeister. Wie wir es geworden sind, ist nicht so wichtig und alle Sorgen sind vergessen.
Ganz so ist es leider nicht. Es war am Anfang des Turniers überhaupt nicht mein Plan, dass Auken – von Arnim mal wieder so gut wie durchspielen (588 von 628 Boards) sondern ich wollte die Paare etwa gleichviel spielen lassen, entweder zusammen Weltmeister werden (oder zumindest eine gute Platzierung) oder gemeinsam ausscheiden. So fantastisch Rauscheid-Nehmert auch in den KO-Runden gespielt haben, in der Vorrunde kamen die beiden genauso wenig wie Farwig-Hackett in Schwung. Es gab immer wieder dumme, unnötige Fehler und verschenkte IMPs. Die Butlerwertung bringt zum Ausdruck, dass Auken-von Arnim auch in der Vorrunde gewohnt stark gespielt haben, und für diese Leistung waren wir es ihnen einfach schuldig, die KO-Runde zu erreichen. Und dafür hätte es wahrscheinlich nicht gereicht, wenn diese beiden mehr ausgesetzt hätten. Das soll natürlich nicht heißen, dass die anderen beiden Paare in der Vorrunde nur schlecht gespielt haben, aber hier müssen wir einfach ausgeglichener und damit flexibler werden, um dauerhaft erfolgreich sein zu können. Ich denke, die Verbesserung der Betreuung unserer Damen vor Ort und die Unterstützung unserer heimischen Fans über das Medium Internet waren ein erster Schritt, und nun müssen wir die Zeit zwischen den großen Meisterschaften intensiv nutzen, um ein dauerhaft schlagkräftiges Team zu formen.